Auf dieser Seite
- Startseite
- Hilfe Pubertät!
Hilfe Pubertät!
Fallbeispiel
Wumm – Die Tür knallt zu! Vickis Mutter guckt ihrer Tochter (15) genervt hinterher. Vicki hat seit Tagen schlechte Laune. Ihre Eltern wollen ihr nicht erlauben, auf ein Festival zu fahren. Sie finden, sie ist zu jung. Außerdem haben sie Zweifel, dass sie dort ausreichend auf ihre Therapie achtet.
Kommt Ihnen diese Situation bekannt vor? Oder erkennen Sie nur, dass Ihr Kind bei Ihnen wohnt, weil Sie seine schmutzige Wäsche und das gebrauchte Geschirr finden? Herzlichen Glückwunsch – Ihr Kind ist langsam kein Kind mehr!
Veränderungen in der Pubertät
In der Pubertät sind der Körper und der Kopf Großbaustellen. Es ist die Lebensphase mit den größten Veränderungen. Manche Dinge sind Ihnen bei Ihrem Kind bestimmt schon aufgefallen. Anderes läuft eher im Verborgenen ab. Aber seien Sie beruhigt: Alles hat ein Ende – auch die Pubertät! Ungefähr mit 17 Jahren werden Sie und Ihr Kind das Gröbste hinter sich haben.
Körperliche Veränderungen
Im Alter von 10-12 Jahren gibt das Gehirn den Startschuss: Der Körper beginnt mit einer vermehrten Hormonproduktion. Größenwachstum, zunehmende Körperbehaarung, Ausbildung von Schweißdrüsen, unreine Haut etc. sind die Folge. Ziel ist die Geschlechtsreife.
Bei Jungen sorgt das Hormon Testosteron für das Wachstum von Penis und Hoden. Der Stimmbruch setzt ein und der Bartwuchs beginnt. Es kommt zum ersten Samenerguss. Langsam prägen sich auch die Muskeln aus, so dass die Proportionen des Körpers männlicher werden.
Bei Mädchen lässt das Hormon Östrogen die Brüste und die Vulva wachsen. Die Gebärmutter bildet sich aus und der monatliche Zyklus setzt ein. Außerdem verbreitert sich das Becken, die Taille wirkt dadurch schmaler: Der Körper entspricht der typisch weiblichen X-Form.
Veränderungen des Denkens
Auch im Gehirn verändert sich einiges: Nervenverbindungen, die nicht mehr genutzt werden, gehen verloren. Andere werden dafür stärker ausgebildet. Außerdem legt sich eine Art Fettschicht um die Nervenfasern. Impulse können so schneller weitergeleitet werden.
Am Ende dieses Umbauprozesses ist der junge Mensch zu komplexen, logischen Denkvorgängen in der Lage. Er kann in die Zukunft planen und sein Verhalten entsprechend ausrichten – genauso (gut oder schlecht) wie Erwachsene auch.
Bis dahin fällt es ihm aber besonders schwer:
- strategisch zu planen,
- Entscheidungen zu treffen,
- Informationen im Kopf zu behalten und
- unpassendes Verhalten zu unterdrücken.
Emotionale Veränderungen
Begeisterung, plötzliche Traurigkeit, Wut …. Die Pubertät ist durch starke Emotionen und ihren schnellen Wechsel geprägt. Auch Antriebsarmut und hohe Risikobereitschaft gehören dazu. Verantwortlich dafür sind die Umbauprozesse im Gehirn und die Schwankung der Hormone.
Hinzu kommt die Suche nach dem eignen Weg. Die Fragen „Bin ich normal?“, „Wie sehen mich andere?“ und „Wie will ich sein?“ bestimmen die Jugend. Bis der eigene Körper akzeptiert und die Identität ausgebildet sind, haben Jugendliche häufig massive Selbstzweifel.
Auch die neuen Anforderungen und Entscheidungen, die sie treffen müssen, führen zu Verunsicherung. Jugendliche fühlen sich schnell überfordert und reagieren dann sehr emotional. Stabilität kann ein Hobby, eine sinnstiftende Aufgabe oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe geben.
Soziale Veränderungen
Die Pubertät ist die Zeit der Abnabelung von den Eltern. Ihr Kind hat weniger Interesse an Familienaktivitäten und Sie bekommen es kaum noch zu Gesicht. Zur Meinungsbildung werden eher Freunde und Influencer herangezogen. Sie als Eltern verlieren langsam an Wichtigkeit.
Dafür nimmt die Bedeutung von Gleichaltrigen zu. Ihr Kind möchte dazugehören. Das ist gut so, denn die Jugendlichen müssen ihre eigenen Lebenspläne entwerfen. Diese stehen manchmal ganz bewusst im Gegensatz zu Ihren – als Provokation.
Zudem ist die Pubertät die Phase der ersten Verliebtheit. Beim Auseinandersetzen mit dem eigenen Geschlecht und der Sexualität werden mitunter typische Geschlechterrollen angenommen: Jungen entwickeln Macho-Gehabe; Mädchen fokussieren sich auf ihr Aussehen. Dabei wird die Wirkung auf andere erforscht.
Pubertät und chronische Krankheit
Für chronisch kranke Jugendliche (und deren Eltern!) ist die Pubertät mit zusätzlichen Herausforderungen verbunden. Sie sind häufig die Ursache für Konflikte und Therapieverweigerung.
Ihr Kind möchte und muss immer mehr Verantwortung beim Krankheitsmanagement übernehmen. Gleichzeitig fällt Ihnen das Abgeben der Verantwortung wahrscheinlich schwer. Sie machen sich Sorgen, ob alles klappt. Häufig kommt es deswegen zu Streit.
Eine Krankheit fühlt sich oft wie ein Makel an. Sie steht damit im Konflikt mit dem Wunsch, „normal“ zu sein und dazuzugehören. Daher soll am besten niemand davon wissen. Ist die Erkrankung sichtbar, erschwert sie außerdem die Akzeptanz des eigenen Körpers.
Durch Arzttermine und Klinikaufenthalte ist manchmal wenig Freizeit vorhanden. Der Kontakt zu Gleichaltrigen leidet. Ebenso fehlt Zeit für Hobbys, die den Selbstwert steigern können.
Die Zeit kann durch die Krankheit nicht so spontan und frei genutzt werden, wie Ihr Kind es sich wünscht. Insbesondere Aktivitäten wie Festivalbesuche oder Wochenendtrips müssen geplant werden oder werden wegen der Risiken untersagt. Das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit bleibt dabei auf der Strecke.
In der Pubertät wird Jugendlichen erstmals richtig klar, dass die Krankheit bleibt und mit Risiken und Einschränkungen verbunden ist. Das macht traurig und manchmal auch Angst. Wenn noch dazu das Therapieergebnis zu wünschen übriglässt, folgen häufig Selbstzweifel und Frustration.
„Vertrauen zu haben war für mich anfangs schwierig”
Interview mit Kirsten und ihrer Tochter Liv zu ihren Erfahrungen mit dem Thema Pubertät und chronische Krankheit.
Typische Konfliktsituationen
Alterstypische Konflikte werden durch die Erkrankung häufig verstärkt. Hinzu kommen Reibungspunkte durch die Umsetzung der Therapie.
Eltern fällt es häufig schwer zu entscheiden, wann wie viel Freiheit erlaubt ist und wo sie klare Grenzen setzen müssen.
In dieser neuen Lebensphase müssen Eltern und Jugendliche ihren Weg finden, mit den Herausforderungen umzugehen. Hören Sie, was Expert:innen für typische Konfliktsituationen raten.
Drei Expert:innen unterschiedlicher Fachrichtungen beantworten häufig gestellte Fragen und geben hilfreiche Tipps:
Diplom-Psychologin,
Expertin für Medizinische Psychologie
Diplom-Psychologin, psychologische Psychotherapeutin und Expertin für Erziehungsfragen
Kinder- und Jugendarzt, Facharzt für Allergologie, Pneumologie und Diabetologie
Videos mit Expertentipps
Fall 1: Fehlendes Interesse an der Therapie
„Früher hat unsere Tochter ihre Diät immer ganz vorbildlich eingehalten und regelmäßig ihre Aminosäuremischung genommen. Doch seit sie auf der neuen Schule ist, scheint alles andere wichtiger zu sein: Klamotten, Schminken, mit Freundinnen treffen, stundenlanges im Internetsurfen … Ihre Gesundheit ist nur noch Nebensache. Das sieht man auch ihrem Phe-Wert an. Bei der letzten Untersuchung war er viel höher als sonst. Wir machen uns große Sorgen, dass die hohen Werten zu Schädigungen des Gehirns führen.”
Fall 2: Arztwechsel – alles schlechter?
„Unser Sohn ist gerade 18 geworden. Mit seinem Diabetes war es nicht immer leicht, aber wir hatten ein tolles Behandlungsteam, mit dem wir zu hohe und zu niedrige Werte, Motivationsprobleme und so manche andere Jugendsünde gut in den Griff bekommen haben. Nun sollen wir leider zu einem Erwachsenenarzt wechseln. Ich habe Angst, dass Jannik dort überfordert ist und die ganzen Probleme wieder von vorne losgehen. Können wir nicht einfach in der Kinderklinik bleiben?”
Fall 3: Zukunftsängste- Wenn ich einmal nicht mehr bin
„Mein Sohn hat einen seltenen Gendefekt. Er ist deswegen in seiner Entwicklung verzögert, wie es so schön heißt, und etwas langsamer im Denken und Handeln als andere. Früher kam es auch häufiger zu epileptischen Anfällen. Das passiert jetzt glücklicherweise nur noch selten. Dennoch wird er wohl immer auf fremde Hilfe angewiesen sein. Ich habe Angst, dass ich das irgendwann nicht mehr schaffe und meinem anderen Sohn möchte ich die Verantwortung für seinen kleinen Bruder eigentlich nicht zumuten.”
Fall 4: Traurigkeit & Selbstzweifel
„Meine Tochter hat die Hautkrankheit Ichthyose, die zu sehr trockener und schuppiger Haut führt. Manchmal kommt es auch trotz aufwändiger Pflege zu schmerzhaften Rissen in der Haut und roten Stellen. Häufig ist meine Tochter sehr traurig deswegen und möchte nur noch allein sein. Wenn sie sich dann noch Bilder von den ganzen makellosen Schönheiten auf ihrem Handy ansieht, wird es noch schlimmer mit ihren Selbstzweifeln. Ich würde sie gerne trösten und aus ihrem Schneckenhaus herausholen, weiß aber nicht wie.”
Fall 5: Unkontrollierter Medienkonsum
„Unser Sohn (15) verbringt fast seine gesamte Freizeit vor dem Computer, und wir schaffen es nicht, ihn davon abzuhalten. Ich würde die Kiste am liebsten aus dem Fenster schmeißen. Wo ist unser aufgeweckter, begabter, kontaktfreudiger und neugieriger Junge geblieben, der er war, bevor ihn die Computerspielwelt aufgesaugt hat? Wir machen uns ernsthaft Sorgen, nicht zuletzt, weil er dadurch komplett seine Behandlung vernachlässigt.”
Fall 6: Alkohol, Rauchen & Drogen
„Die Lieblingsbeschäftigung unseres Sohnes ist seit kurzem das „Abhängen“ im Park oder das „Chillen“ mit seinen neuen Freunden. Dass dabei auch Alkohol getrunken wird, finden wir ok. Das haben wir schließlich früher auch gemacht. Aber jetzt rauchen sie zusätzlich Shisha. Dabei ist Rauchen für unseren Sohn eigentlich tabu, weil er Asthma hat. Außerdem können da ja auch Drogen drin sein. Wir befürchten, dass sich das Asthma dadurch wieder verschlimmert und er einen Asthmaanfall im Rausch nicht richtig behandeln kann.”
Fall 7: Abgabe der Therapieverantwortung
„Seit einiger Zeit übernimmt meine Tochter die Therapie ihrer Erkrankung fast alleine. Sie macht das eigentlich gut. Aber häufig drückt sie ihre Medikamentenerinnerung auf dem Handy einfach weg und ich befürchte, dass sie ihre Medikamente dann vergisst. Dabei ist es wichtig, dass die Medikamente sehr regelmäßig genommen werden. Wenn ich sie darauf anspreche und an die Medikamente erinnere, sagt sie nur: ‚Mama, du nervst‘ und geht in ihr Zimmer.”
Fall 8: Strittige Entscheidungen
„Vor einem Jahr hat unser Sohn eine Ausbildung zum Mechatroniker angefangen. Es war nicht leicht für ihn, eine Lehrstelle zu bekommen, weil er ADHS hat und sein Zeugnis entsprechend schlecht war. In der Ausbildung macht er sich aber gut. Sogar in der Berufsschule hat er gute Noten. Ich denke, das liegt daran, dass er wieder seine ADHS-Medikamente nimmt und ihm die Ausbildung Spaß macht. Neulich hat er uns nun mitgeteilt, dass er die Medikamente absetzen will, weil er sich dadurch eingeschränkt fühlt. Das hat bei uns zu einem furchtbaren Streit geführt, weil mein Mann und ich befürchten, dass es mit seiner Ausbildung dann bergab geht. Können wir ihm das verbieten? Schließlich ist er erst 17 und noch nicht volljährig.”
Fall 9: Aufklärung über die Krankheit
„Unsere Tochter (12) hat eine schwere Niereninsuffizienz. Sie muss daher viele Medikamente nehmen und häufig sind wir beim Arzt oder im Krankenhaus. Trotzdem ist sie meist gut gelaunt, kommt in der Schule mit und hat Freunde. Unsere Nachbarn haben jetzt ein Baby bekommen. Lea ist ganz verliebt in das Baby und sagt, dass sie später auch Kinder haben will. Wegen ihrer Krankheit wird das aber vermutlich nicht möglich sein. Bisher habe ich ihr das nicht gesagt. Wann ist das passende Alter für ein solches Gespräch? Oder soll ich ihre Ärztin bitten, mit ihr darüber zu sprechen?”
Fall 10: Pubertäres Verhalten
„Ich bin mit meinen Nerven völlig am Ende. Das pubertäre Verhalten meiner Tochter raubt mir meine ganze Kraft. Seit ein paar Monaten ist sie kratzbürstig, launisch und zickig und hält sich an keine Vereinbarungen mehr. Sie kommt z.B. immer zu spät, nur um uns zu ärgern. Wenn wir sie darauf ansprechen, schmollt sie und reagiert nicht. Keiner Bitte, uns mal zu helfen, kommt sie nach und hält es für eine Zumutung. Ihre neueste Idee ist es, im Sommer mit 3 Freundinnen nach Kroatien zum Campen zu fahren. Ich finde, mit 14 ist sie noch zu jung dafür. Außerdem befürchte ich, dass sie vergisst, ihre Medikamente gegen Rheuma zu nehmen. Schon zuhause ist es ein Kampf, dass sie sie nimmt.”
Fall 11: Soziale Teilhabe, Tochter mit seltener Stoffwechselkrankheit
„Durch ihre Mukoviszidose hat meine Tochter ständig Atemwegsinfekte und muss daher täglich inhalieren, Medikamente nehmen, Physiotherapie machen, auf ihre Ernährung achten und leider auch regelmäßig in die Klinik. All dies kostet viel Zeit, die dann für schöne oder alltägliche Dinge fehlt. Das schlimmste ist jedoch die Angst vor Ansteckung mit Problemkeimen und natürlich mit Corona. Leonie konnte vorher schon bei vielen Dingen nicht mitmachen (z.B. Klassenfahrt, Übernachtungsgeburtstage). Seit Beginn der Pandemie ist aber fast gar nichts mehr möglich. Immer häufiger frage ich mich, was wichtiger ist – ihre Lungenfunktion oder ein normales Leben.”