„Vertrauen zu haben war für mich anfangs schwierig”

pubertät

Interview mit Kirsten und ihrer Tochter Liv zu ihren Erfahrungen mit dem Thema Pubertät und chronische Krankheit.

Beide: (lachen und sagen gleichzeitig) Nein

K: Es kommt vermutlich darauf an, was man für ein Typ ist. Liv ist eher der ruhige und geduldige Typ. Meine gesunde Tochter war impulsiver. Allerdings habe ich mir bei ihr deutlich weniger Sorgen gemacht. Liv wollte ich mehr beschützen.

L: Während meiner Pubertät gab es eigentlich keine Besonderheiten. Manchmal war ich etwas genervt, wenn ich das Notfallpack mitnehmen musste oder so.

K: Als Eltern hatten wir auch Verständnis dafür, aber wir konnten es ja nicht ändern.

K: Als es losging mit Partys und über Nacht wegbleiben, haben wir darüber gesprochen. Ich habe gefragt: „Wie willst du das machen? Willst du noch mal was nachnehmen? Wie machst du es mit der Spritze?“ Ich wollte sicher sein, dass es klappt. Aber ich habe gemerkt, dass ich mich auf sie verlassen kann. Das hat mir sehr geholfen. Mein Partner und ich fahren z.B. auch alleine in den Urlaub und Liv ist dann mit ihrer älteren Schwester allein zuhause.

L: Wenn ich abends weggehe, weiß immer jemand was ich habe, falls es zu einem Notfall kommt. Ich merke aber auch selbst, wann ich genug getrunken habe und höre dann auf.

K: Jugendliche mit chronischen Erkrankungen sind ihren Altersgenossen teilweise voraus was Eigenverantwortung und Verantwortungsgefühl angeht und schlagen weniger über die Stränge. Sie wissen, worauf sie achten müssen und sind durch ihre Medis schon eine gewisse Disziplin gewöhnt. Liv weiß, wenn sie sich abends zusäuft, wacht sie morgens vielleicht nicht mehr auf. Das sind natürlich Themen, die Eltern Angst machen und wo sie sagen „Du musst verantwortungsvoller sein als andere“.

K: Das Loslassen fiel mir schwer. Schließlich habe ich 14-15 Jahre lang 4-5mal am Tag an ihre Medikamente gedacht. Aber als sie so 15 war, kam der Punkt, dass ich gefragt habe, ob sie an ihre Medis gedacht hat, und Liv gar nicht mehr richtig zuhörte und automatisch „ja“ gesagt hat. Oder sie hat mit den Augen gerollt und gesagt „Jaaa, Mama“. Andere hätten vielleicht gesagt „Nerv nicht!“. Sie war wirklich geduldig mit mir und hat es eher mit Humor gemacht. Ich habe ein Jahr gebraucht, bis ich wirklich aufgehört habe zu fragen.

L: Ich konnte es total nachvollziehen, dass sie nicht von einem auf den anderen Tag die Verantwortung übergeben konnte. Ich fand es nicht so schlimm. Aber manchmal hat sie innerhalb von 10 min 3mal gefragt, ob ich die Medikamente genommen habe (beide lachen).

Jetzt fragt sie noch manchmal, ob alles gut ist oder ob noch genug Medikamente da sind. Sonst lässt sie mich machen. Es ist meine Erkrankung, es sind meine Medikamente, dann kann ich es auch selbst machen. Mama muss sich dafür nicht mehr die Zeit nehmen.

K: Es ging schon früh los. Ab der 1. Klasse hat sie die Mittags-Medi allein genommen. Natürlich habe ich noch jeden Tag kontrolliert. Ein Jahr später hat sie das Spritzen alleine gemacht. Auch hier habe ich anfangs dabeigesessen. Es kam praktisch immer eine nach der anderen Sache dazu. So hat sich das über die Jahre ergeben.

K: Ich behalte jetzt nur noch den Überblick über die Medikamenten-Vorräte und achte darauf, dass genug da ist. Alles andere, wie z.B. die Medikamente aus der Apotheke holen, macht sie.

L: Und wir gehen noch zusammen zum Arzt. Das finde ich auch ok. Sie weiß ohnehin, was abgeht, da kann sie auch mitkommen. Außerdem ist der Arzt weiter weg, da muss sie mich fahren.

K: Nach der Schule steht der Arztwechsel an. Da werde ich zu Beginn noch mitgehen, aber das kann sie dann auch alleine. Schon heute spricht der Arzt hauptsächlich mit Liv. Ich bin nur Begleitperson.

L: Aber wichtige Entscheidungen besprechen wir zusammen und gucken, wie es am besten für mich passt.

K: Ich mache mir Gedanken, wenn Liv mal auszieht. Alleine leben kann ich mir noch nicht so vorstellen. Ich will sie nicht täglich 3x anrufen müssen, um zu checken, ob es ihr gut geht. Ich würde mir wünschen, dass sie in eine WG zieht oder so und Leute um sich herum hat. Natürlich mache ich mir auch Sorgen, wie sie mit allem so zurechtkommen wird: Studium, Medikamente, ein neuer Tagesrhythmus … 1,5 Jahre haben wir ja noch Zeit.

K: Das Wichtigste ist, dass man versucht, im Gespräch zu bleiben. Es ist ein schmaler Grat: man möchte nicht zu viel über die Krankheit sprechen, so zu tun, als ob nichts wäre, bringt aber auch nichts. Man kann aber einfach fragen: Willst du lieber in Ruhe gelassen werden? Oder brauchst du meine Hilfe?

Außerdem finde ich es wichtig, dass sich Kinder auskennen mit ihrer Erkrankung. Sie müssen einen Sinn sehen, warum sie z.B. die ganzen Medis nehmen müssen – sie sollen ja genauso selbständig werden wie ihre gesunden Freunde. Auch wenn man Angst hat, dass es dann nicht mehr so gut läuft, sollte man die Kinder nicht überbehüten und ihnen alles abnehmen.

Bei großen Pubertätskonflikten oder anderen Problemen empfehle ich, sich Hilfe von außen zu holen. Es ist heute ganz normal, dass man zu einem Coach oder Therapeuten geht. Auch für den Jugendlichen kann es wichtig sein, mit Außenstehenden zu sprechen. Mir hat der Austausch mit anderen Eltern sehr geholfen.

L: Ich würde empfehlen, Vertrauen zu den Kindern zu haben. Ich kann es nachvollziehen, dass sich Eltern Sorgen machen, aber dann sollen sie mit ihren Kindern darüber reden. Vielleicht findet man gemeinsam eine Lösung.

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